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ReTransfer: „Die Beteiligung von Lehrkräften und Landesinstituten ist ein zentraler Erfolgsfaktor des Projekts.“

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Interview mit Prof. Dr. Detlef Kanwischer. Redaktion: Petra Schraml, DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation

Lehrkräfte müssen heute mit digitalen Kompetenzen ausgestattet sein, um ihre Schüler:innen auf eine digital souveräne Teilhabe an der Gesellschaft vorzubereiten. Wie wollen Sie mit den digitalen Fachkonzepten, die Sie im Projektverbund ReTransfer entwickeln, dazu beitragen?

Detlef Kanwischer: Das Projekt ReTransfer zielt darauf ab, digitale Fachkonzepte zu entwickeln, die speziell auf die Bedürfnisse gesellschaftswissenschaftlicher Lehrkräfte ausgerichtet sind. Diese Konzepte sollen Lehrkräfte befähigen, digitale Werkzeuge und Methoden effektiv in ihrem Unterricht einzusetzen. Durch die länderübergreifende Zusammenarbeit wollen wir sicherstellen, dass die entwickelten Konzepte breit anwendbar und auch adaptierbar sind, wodurch eine einheitliche und qualitativ hochwertige Fortbildung ermöglicht wird. Die Nutzung von OER (Open Educational Resources) gewährleistet zudem die freie Zugänglichkeit und Weiterentwicklung der Materialien. Im Kern geht es darum, Lehrkräften fundierte Kenntnisse über digitale Medien und Werkzeuge im Kontext der Gesellschaftswissenschaften zu vermitteln, damit sie darauf aufbauend, diese im eigenen Unterricht zur Förderung von Wissenserwerb und kritischem Denken der Schüler:innen anwenden können. In den Gesellschaftswissenschaften geht es vor allem auch um den kritischen und reflexiven Umgang mit digitalen Informationen wie zum Beispiel Fake News.

ReTransfer ist untergliedert in zehn Teilprojekte. Mit welchen Themen beschäftigen sich diese? Gibt es Gemeinsamkeiten der digitalen Fachkonzepte, die in den Teilprojekten entstehen?

Detlef Kanwischer: Von den zehn Teilprojekten setzen sich sechs Teilprojekte mit der Entwicklung von Lehrkräftefortbildungen auseinander. Für die Fächer Sozialwissenschaften, Geschichte und Geographie entstehen je zwei Fachkonzepte zu unterschiedlichen Themen. In den Sozialwissenschaften stehen Gesellschaftskonstruktionen im Kontext von digitalen Medien und forschendes Lernen mit mobilen Technologien im Fokus. Im Fach Geschichte werden die Themen „Virtual Reality (VR) als digitaler Erinnerungsraum“ und „Digitale Sammlungen und Quellenkritik“ behandelt. Ein Thema in Geographie ist „Digitales Storytelling im Kontext von Nachhaltigkeit“, das andere „Digitale Visualität raumbezogener Konflikte.“ Alle Themen werden so ausgearbeitet, dass sie Anknüpfungspunkte zu den anderen Fächern bieten, denn virtuelle Realität, digitale Visualität und Quellenkritik spielen in allen Gesellschaftswissenschaften eine Rolle.

Als überfachlicher Referenzrahmen für die Kompetenzentwicklung dient uns der „European Framework for the Digital Competence of Educators (DigCompEdu)“ und für die konzeptionelle Entwicklung der Fachkonzepte das „Frankfurt-Dreieck zur Bildung in der digitalen Welt.“ Dieses Dreieck setzt sich zusammen aus den drei Komponenten Interaktion, gesellschaftliche Wechselwirkungen, Strukturen und Funktionen. Alle Lehrkräftefortbildungen orientieren sich an ihnen. Darüber hinaus verfolgen alle Teilprojekte das Ziel, die digitale Souveränität von Lehrkräften zu fördern. Zu diesem Themenbereich haben wir einen Selbstlernkurs entwickelt, der an konkreten Unterrichtsbeispielen verdeutlicht, wie digitale Souveränität vermittelt werden kann.

„Durch die länderübergreifende Zusammenarbeit wollen wir sicherstellen, dass die entwickelten Konzepte breit anwendbar und auch adaptierbar sind, wodurch eine einheitliche und qualitativ hochwertige Fortbildung ermöglicht wird.“

Detlef Kanwischer

Welche Themen behandeln die anderen vier Teilprojekte?

Detlef Kanwischer: Die anderen vier Teilprojekte haben unterschiedliche Forschungsschwerpunkte. Ein Teilprojekt analysiert die Wirkungsfaktoren und Gelingensbedingungen von Wissenstransfer. Weitere Teilprojekte setzen sich mit der Evaluation der Lehrkräftefortbildungen und der Kompetenzentwicklung der Lehrkräfte auseinander. Daneben bearbeiten wir in den Teilprojekten auch, wie eine länderübergreifende Transferierbarkeit realisiert werden kann und wie die Voraussetzungen digitaler Infrastrukturen in den Bundesländern sind, die sich ja durchaus unterscheiden. Das ist insbesondere vor dem Hintergrund der Anwendung von offenen Bildungspraktiken und Open Educational Resources wichtig. In diesem Kontext erheben wir auch die Handlungsroutinen der Lehrkräfte bei der Entwicklung und Nutzung der offenen Bildungsmaterialien.

Können Sie ein Beispiel geben, wie Lehrkräfte die Inhalte der digitalen Fachkonzepte in ihrem Unterricht anwenden können?

Detlef Kanwischer: Ein Beispiel ist die Erkundung historischer Orte mit Hilfe von Virtual Reality-Anwendungen. Die Spannweite reicht dabei von 360°-Aufnahmen noch bestehender bis hin zu aufwendigen virtuellen Rekonstruktionen längst verfallener oder zerstörter Orte. Diese Technologien sind längst fester Bestandteil der pädagogischen Arbeit von Museen und Gedenkstätten, aber im schulischen Geschichtsunterricht sind sie nur selten anzutreffen. Daher entwickeln wir länderübergreifende Fortbildungen für Geschichtslehrkräfte, in denen der schulische Einsatz von VR-Anwendungen aufgezeigt wird.

Auf welche Art und Weise werden Lehrkräfte und Landesinstitute in die inhaltliche Entwicklung der digitalen Fachkonzepte eingebunden?

Detlef Kanwischer: Die Lehrkräfte und die Landesinstitute werden aktiv in diesen Entwicklungsprozess eingebunden, indem sie an Workshops zur Entwicklung der Lehrkräftefortbildungen und an Pilotphasen teilnehmen. Ihr Feedback fließt unmittelbar in die Ausarbeitung und Optimierung der digitalen Fachkonzepte ein. Durch diese partizipative bzw. ko-konstruktive Herangehensweise wird sichergestellt, dass die entwickelten Konzepte praxisnah und bedarfsgerecht sind. Ich würde sogar behaupten, dass diese aktive Beteiligung von Lehrkräften und Landesinstituten an der inhaltlichen und technischen Entwicklung der digitalen Fachkonzepte ein zentraler Erfolgsfaktor des Projekts ist.

Am Projektverbund sind fünf Hochschulstandorte in fünf Bundesländern sowie das DIPF | Leibniz-Institut für Bildungsforschung und Bildungsinformation beteiligt. Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit?

Detlef Kanwischer: Die Zusammenarbeit läuft sehr gut. Ich muss allerdings dazu sagen, dass wir schon zu Projektantrag eine gut vernetzte und gut eingespielte Gruppe waren. Alle Projektteilnehmende von ReTransfer haben großes Interesse an der Durchführung des Projekts. Es gibt vielfältige Kooperationen, Vernetzungen und regelmäßige Abstimmungsmeetings. Wir treffen uns zum Beispiel wöchentlich in der Koordinierungsgruppe. Bei diesen Treffen können auch die Teilprojekte bei Bedarf jederzeit dazukommen. Einmal im Monat haben wir ein Treffen des Leitungsgremiums und alle drei Monate findet ein Gesamtprojektverbundtreffen statt. Insbesondere für die wissenschaftlichen Mitarbeitenden gibt es darüber hinaus noch regelmäßige Question and Answer-Sitzungen zu bestimmten Aspekten, zum Beispiel, wenn es um Publikationsstrategien geht. Zudem haben wir noch themen- und fachspezifische Arbeitsgruppen, die insbesondere im Kontext von Veröffentlichungen zusammenarbeiten. Diese Struktur ermöglicht eine effiziente und effektive Zusammenarbeit über Bundeslandgrenzen hinweg. Alle Treffen erfolgen virtuell. Aber einmal im Jahr treffen wir uns mit allen Projektbeteiligten vor Ort.

Auf welche Hürden stößt die länderübergreifende Zusammenarbeit?

Detlef Kanwischer: Inhaltlich gibt es keine Probleme. Wir haben bei unserem ersten Treffen eine Curriculumanalyse aller beteiligten Bundesländer durchgeführt und nach Querschnittsthemen gesucht, die in jedem Bundesland vorkommen. Das hat gut funktioniert. So konnten wir inhaltliche Lehrkräftefortbildungen entwickeln, die mit den Lehrplänen aller beteiligten Bundesländer korrespondieren. Auf Hürden stoßen wir, wenn es um die technischen Infrastrukturen geht. Jedes Bundesland hat andere Datenschutzbestimmungen. Diese müssen natürlich genau abgestimmt sein, sonst arbeiten wir am Ende mit Tools, die in einigen Bundesländern gar nicht verwendet werden dürfen. Auch deswegen ist eine frühe Zusammenarbeit mit den Landesinstituten wichtig.

„Die Lehrkräfte und die Landesinstitute werden aktiv in diesen Entwicklungsprozess eingebunden […]. Ihr Feedback fließt unmittelbar in die Ausarbeitung und Optimierung der digitalen Fachkonzepte ein. Durch diese partizipative bzw. ko-konstruktive Herangehensweise wird sichergestellt, dass die entwickelten Konzepte praxisnah und bedarfsgerecht sind.“

Detlef Kanwischer

Sie haben angesprochen, dass sich ein Teilprojekt mit der Kompetenzentwicklung der Lehrkräfte auseinandersetzt.

Detlef Kanwischer: Ja, das ist ein entscheidender Fokus von uns. Die Kompetenzentwicklung der Lehrkräfte wird durch begleitende Forschung evaluiert. Dabei werden sowohl quantitative als auch qualitative Methoden vor und nach der Durchführung der Fortbildungen eingesetzt, um den Einfluss der Fachkonzepte auf die digitalen und didaktischen Kompetenzen der Lehrkräfte zu messen. Die ersten Kompetenzerhebungen werden wir im Laufe dieses Jahres vornehmen. Die Ergebnisse dieser Forschung fließen kontinuierlich in die Weiterentwicklung der Konzepte ein.

Wie wird die nachhaltige Bereitstellung der digitalen Fachkonzepte und ihre länderübergreifende Implementierung in die Lehrkräftefortbildung sichergestellt?

Detlef Kanwischer: Das erfolgt durch verschiedene Maßnahmen. Die digitalen Fachkonzepte werden zum einen als frei zugängliche und editierbare Open Educational Resources (OER) veröffentlicht, um eine breite Verbreitung und Nutzung zu gewährleisten. Sie werden zum anderen auf ComPleTT hochgeladen, wo die Landesinstitute auf sie zugreifen, sie bei Bedarf überarbeiten und in ihren Bundesländern anbieten können. Wir sind auch mit den Landesinstituten im Austausch darüber, Lehrkräfte und Fachberater:innen zu Multiplikator:innen auszubilden, die die Fortbildungsmodule dann in ihren Einrichtungen und Bundesländern weitervermitteln könnten. Eine weitere Maßnahme ist die Sensibilisierung von politischen Entscheidungsträger:innen für die Bedeutung der digitalen Bildung und die Notwendigkeit der Unterstützung von Fortbildungsinitiativen wie ReTransfer. Wir sprechen regelmäßig mit Vertreter:innen der Landesministerien – die für die Landesinstitute zuständig sind –, um deutlich zu machen, wie wichtig das Thema ist.

Die digitalen Fachkonzepte werden als OER erstellt. Das heißt, dass Sie eine Weiterentwicklung und Anpassung der Materialien begrüßen?

Detlef Kanwischer: Ja, eine Weiterentwicklung der digitalen Fachkonzepte ist ausdrücklich erwünscht. Die Nutzung von OER ermöglicht es Lehrkräften und Bildungseinrichtungen, die Materialien an ihre spezifischen Bedürfnisse anzupassen und weiterzuentwickeln. Dies kann durch die Anpassung der Materialien an länderspezifische Rahmenbedingungen passieren, durch die Integration neuer digitaler Werkzeuge oder durch die Erstellung zusätzlicher Inhalte. Die Anpassung und Weiterentwicklung von OER fördert eine kontinuierliche Verbesserung und Aktualisierung der Lehrinhalte.

Prof. Dr. Detlef Kanwischer

Detlef Kanwischer ist Professor für Geographie und ihre Didaktik an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er ist wissenschaftliche Leitung des Projektverbunds „Re-Innovation und Transfer digitaler Fachkonzepte in der gesellschaftswissenschaftlichen Lehrkräftebildung im Kontext von digitaler Souveränität und offenen Bildungspraktiken“ (ReTransfer). Seine Forschungsschwerpunkte liegen in der empirischen Untersuchung von metakognitiven Fähigkeiten beim Lernen mit digitalen Geomedien und von digitalen Lernumgebungen. Er war bisher an allen drei Initiativen der Qualitätsoffensive Lehrkräftebildung (QLB) beteiligt.


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